Hochmoselbrücke. Ganz ohne Worte hebt der Bauaufseher seine Hand in die Luft und macht eine kreisende Bewegung – Ein klares Signal an den Kranfahrer: Wir sind bereit! „Ja? Sind wir das?“ Ist mein panischer Gedanke. Mit Worten hätte er ihm die Information auch kaum übermitteln können, denn der Maschinist sitzt in einem Baukran - ca. 150 Meter in der Höhe über uns. Innerhalb von wenigen Augenblicken setzt sich der Kran in Bewegung und lässt das „PAM“ an einem Stahlseil hinunter zu uns. „PAM“ steht für Personenaufnahmemittel – für mich ist es die orangene Kapsel – denn tatsächlich sieht PAM aus wie eine zwei Meter große Pille. Wir befinden uns am Fuße des zweithöchsten Pfeilers der Hochmoselbrücke und PAM soll uns hinauf auf den Pfeiler transportieren.
Der ungewöhnliche Aufzug hat gerade mal einen Durchmesser von 80 Zentimetern und kann bis zu vier Personen befördern. Der Himmel ist bedeckt und eine leichte Brise weht hier im Moseltal. Die Kapsel ist von innen noch enger, als dass sie von außen wirkt. Zu dritt stehen wir in dem Mini-Aufzug, Rücken an Rücken – an ein Umdrehen ist nicht zu denken. Noch ist mir zum Scherzen zu Mute, als das Handy von einem Mitfahrer klingelt – Fahrstuhlmusik gibt es also auch!
Die Außenwand ist mit kleinen Löchern durchsiebt, die einen kleinen Ausblick auf das Moseltal geben. Viel Zeit zum Ausmalen angsteinflößender Absturzgedanken bleibt nicht, denn kaum merklich wurden wir in die Luft gehoben und nach wenigen Augenblicken mit einem kräftigen Ruck auf dem Pfeiler wieder abgestellt. Von leichter Brise kann hier nicht mehr die Rede sein, ein kräftiger Wind lässt meine neonorangene Warnweste flattern. „Hier oben ist es immer windig, das ist normal – ab einer Windgeschwindigkeit von 70 km/h wird der Kran zur Sicherheit automatisch abgeschaltet“, erklärt Christoph Schinhofen, Bauaufseher beim LBM. Für diesen Fall gibt es im Inneren des Pfeilers einen Fahrstuhl, der mit einem Notstromaggregat betrieben wird.
Heute ist die Abnahme der Bewehrung beim vorletzten Schuss. Ein Schuss ist der Abschnitt, um den der Pfeiler in die Höhe wächst. Jeder Schuss ist fünf Meter hoch. Die Fertigstellung jedes Abschnittes dauert zwischen 10 und 14 Tagen. „ Die unterschiedlichen Bauzeiten ergeben sich dadurch, dass alle Pfeiler in der Mitte schmäler, sprich tailliert sind. Durch diese Form ändern sich die Wandstärken und Anzahl der Bewehrungsstäbe.“, weiß Schinhofen.
Jeder fertige Schuss wird durch die Bauaufseher überprüft. Dabei werden Anzahl und Durchmesser, sowie die Anordnung und Abstände der einzelnen Stäbe kontrolliert. Bei diesem Pfeiler also 29 Mal. „Die Bewehrung ist wichtig für die Statik des Pfeilers und damit für die Sicherheit – daher ist die Abnahme bei jedem Schuss so wichtig“, erklärt der Bauingenieur.
Die Bewehrung dient zur Verstärkung des Tragverhaltens im Verbund mit dem Beton. Der Beton kann Druckkräfte aufnehmen, Zug- und Biegezugkräfte müssen von der Bewehrung aufgenommen werden. Die Bewehrung besteht aus senkrechtem und waagerechtem Stabstahl, der zu einem „Korb“ zusammengeflochten wird. Die senkrechten Stäbe wurden wegen der Kraftübertragung teils in dem zuletzt hergestellten Schuss einbetoniert. Die Durchmesser der Stäbe liegen bei diesem Schuss zwischen 10 und 28 mm. Insgesamt werden hier 14,8 Tonnen Stahl eingebaut. 13 LKW- Ladungen Beton werden für diesen Abschnitt, mit einem Gesamtvolumen von 92 Kubikmetern, per Kran in die Höhe transportiert. Bis zu einer Höhe von 50 Metern können dafür noch Pumpen verwendet werden.
Im Schnitt benötigt der Beton drei Tage, um so auszuhärten, dass die sogenannte Selbstkletterschalung für die Herstellung des nächsten Schusses klettern darf. Die Selbstkletterschalung ist eine komplizierte Konstruktion. Der Aufbau der 80 Tonnen schweren Konstruktion dauert rund acht Wochen. Der Beton wird in die Gussform der Selbstkletterschalung gegossen. Wenn dieser dann ausgehärtet ist, wird die Schalung hydraulisch weiter Richtung Pfeilerspitze befördert. Neuer Beton wird eingefüllt und der Vorgang wiederholt sich. Dies geht so weiter, bis der Pfeiler in seiner endgültigen Höhe errichtet ist.
Damit ist die Abnahme fertig – „PAM“ steht schon in den Startlöchern für die nächste Fahrt.